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# Mein erster Sandsturm

Heute erneut kein einziger Tropfen Regen über Weitersroda.

Rainer und ich hocken vor der Wetterapp und sehen gebannt zu, wie im Südwesten wieder irgendeine Unwetterfront aufzieht. Der untere Zipfel davon könnte uns mit etwas Glück erwischen.

Alle Wassertanks und die alte Brauereizisterne sind leer.

Petra hat heute in einem Wahnsinnseinsatz Eimer für Eimer Wasser von der Quelle zum Acker getragen. Rainer hat schon zweimal je 1000 Liter Wasser über die Straße zum Gewächshaus getragen. Wir haben auch schon einige Tausend Liter Trinkwasser vergossen, aber das ist bei unseren Flächen nicht im großen Stil zu machen.

Vieles geht jetzt kaputt. Die zehn Aroniasträucher schauen übel aus. Von den frisch gepflanzten Obstbäumen werden die meisten eher nicht überleben. Und sogar die wildgewachsenen Holunder, die recht geschützt in einem Waldstückchen stehen: kein Blatt mehr dran. Ob die nächstes Jahr wieder ausschlagen, ist fraglich.

Warum ich so emotional bin bei dem Ökothema, fragen mich Leute? Na, weil ich an einem Ort, den ich seit zehn Jahren entwickle, bewirtschafte, bepflanze live erlebe, was ein einziger Sommer ohne Regen anrichten kann. Und weil ich weiß, dass das nur ein Vorgeschmack dessen ist, was kommt. Immerhin, heute: eine echte Neuerung! Der erste Sandsturm über Weitersroda.

Über den Wetterdienst meiner Gebäudeversicherung geht eine Sturmwarnung ein, Warnstufe Orange. Kurz darauf tatsächlich schon starke Böen. Kein Regen dabei. Kein Tropfen. Dafür kommt eine beachtliche Staubwolke angewirbelt.

Zwei Traveller, die uns heute nach einer vierjährigen Weltreise besucht haben, sind geschockt, als sie die staubigen Böden hier sehen. Schaut aus wie in der Mongolei, sagen sie. "Regen kriegen wir keinen, aber immerhin einen Sandsturm!", sage ich zu einem Nachbarn. "Da ist die Menschheit selber dran schuld.", entgegnet der. Hm, denke ich: der hat wenigstens kapiert, was los ist. Dann fällt mir ein, dass das ja der Dorfmetzger gewesen ist. Ob dem annähernd klar ist, welche verheerende Wirkung der Fleischkonsum....? Aber dann fällt mir ein: ich habe dieses Gespräch aus dem Auto heraus geführt. Ob mir annähend klar ist, welche verheerende Wirkung der Petromobilismus.....?

Es gibt kein Entrinnen. Wir alle hängen voll mit drin und wir alle betreiben einen Lebensstil, dass es jeder Sau graust. Der eine versaut den Planeten mehr, der andere weniger. Aber alle, alle, alle miteinander versauen wir den Planeten.

Ich fahre mit dem Petrostinker zu meinem Pferd. Das wenigstens sei zu meiner Verteidigung gesagt. Ich entwickle da mit Nomo, dem Kaltblut-Wallach, zielstrebig eine völlig neuartige, zukunftstaugliche Form der Mobilität. Auf dem Rückweg kehre ich noch im kurdischen Restaurant ein. Wir sitzen draußen und reden. "Der da", erzählt man mir: "der ist aus Syrien gekommen. Zu Fuß!" Der Gemeinte sagt auf Deutsch, er sei einen Monat unterwegs gewesen. Und jener hier, er deutet auf einen anderen, der ist aus Afghanistan gekommen. Auch zu Fuß. "Das ist ziemlich ökologisch", sage ich. Alle lachen.

Dann erzählt der erste, wie der Krieg seine Familie zerrissen hat. Die einen sind jetzt in der Türkei, die anderen im Libanon, er in Deutschland alleine, und einige sind noch in Syrien. Und einige sind tot.

Ich bestelle noch einen Ayran-XXL mit Eiswürfeln, während der Wind langsam wieder an Fahrt gewinnt. Bald wird es stürmischer. Dunkle Wolken ziehen auf. "Es geht ein dunkler Wolk herein...", singt es in mir: "mich dünkt, es wird ein Regen sein / ein Regen aus den Wolken / wohl in das grüne Gras". Grünes Gras? Bei uns schon lange nicht mehr. Aber das Lied, das im Dreißigjährigen Krieg berühmt geworden ist, hat ja noch mehr Strophen. "So weset alls im grünen Wald / Und all die müden Blumen / die haben müden Tod." Aber was beschwere ich mich?

Dafür gab es heute eine echten Sandsturm über Weitersroda.


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